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Schwimmverband NRW mit katastrophalem Befund zur Schwimmfähigkeit und Bädersituation

| Allgemein (LSB)

„Ritualisierte Fünf-Minuten-Betroffenheit und dann Themawechsel“

Auch in diesem Jahr stand sie zur Sommerzeit im Fokus: Die Schwimmfähigkeit der Bevölkerung. Und wenn der eher maue Sommer 2024 ein wenig davon ablenkte, bleibt der Befund katastrophal - mit Trend zur weiteren Verschlechterung. Denn nach aktuellen Studien können über 50 Prozent der Grundschüler nicht oder nur schlecht schwimmen, etwa 20 Prozent bezeichnen sich selbst als Nichtschwimmer*in. Woran liegt dies und was kann man tun? „Man kann hier nicht von der einen Ursache sprechen“, so Frank Rabe, Generalsekretär im Schwimmverband NRW (SV NRW), dem deutschlandweit mitgliederstärksten Landesschwimmverband (587 Vereine mit über 220.000 Mitgliedern), „sondern einem Bündel an Entwicklungen. Die sehen wir zwar seit vielen Jahren, außerhalb der Vereinswelt wurde aber nichts wirklich Nachhaltiges unternommen.“ Ein Grund ist der häufige Ausfall des Sportunterrichtes und damit auch der Unterrichtsstunden im Schwimmbad. Ansonsten fehle es oft an der entsprechenden Qualifizierung der Lehrer*innen und vor allem an entsprechendem Unterstützungspersonal.


„Wir empfehlen unseren Vereinen, maximal sechs Kinder je Schwimmlehrer ins Wasser zu lassen. An den Schulen lässt man die Lehrkräfte aber häufig mit 30, völlig unterschiedlich motivierten Kindern allein. Das verhindert nicht nur eine adäquate Ausbildung, es ist im schlimmsten Fall lebensgefährlich“ erläutert Rabe. Die Schule ist bzw. war bis zur Jahrtausendwende der größte Schwimmausbilder, seitdem geht es aber gefühlt steil bergab. Wenn mehr als die Hälfte der Grundschüler nach der vierten Klasse nur schlecht schwimmt oder gar nicht schwimmen kann, ist man weit weg vom erklärten Ziel der Kultusministerkonferenz, dass alle Kinder nach Ende der Grundschulzeit sichere Schwimmer sein sollen. „Man stelle sich vor, dies würde für Lesen und Schreiben festgestellt. Dann wäre der Aufschrei groß. Beim Nicht-Schwimmen bleibt nur eine ritualisierte Fünf-Minuten-Betroffenheit und man wechselt das Thema.“, erklärt die für den Bereich Bildung im SV NRW zuständige Vizepräsidentin Elke Struwe.
Auch der Landessportbund NRW betont regelmäßig, dass es einen Kraftakt benötigt, um weiter genug Schwimmausbildung und Sportschwimmen zu sichern. So fordert LSB-Vorstandsvorsitzender Dr. Christoph Niessen: „Es braucht dringend eine Offensive für Lehrschwimmbecken und Einfachschwimmhallen im Sportland NRW!“

Bädersterben in NRW: Drastischer Rückgang an Schwimmstätten

Ein weiterer Grund für diesen Trend ist die Entwicklung der Bäderlandschaft, häufig plakativ auch als Bädersterben beschrieben. Offizielle Statistiken fehlen auf der Bundesebene, die Zahlen der Bäderbetreiber und des DOSB machen jedoch deutlich, dass im Zeitraum von 2000 bis 2019 jedes fünfte Bad seine Pforten schloss. Für das bevölkerungsreichste Bundesland NRW sieht dies nach Darstellung des Schwimmverbandes NRW noch dramatischer aus. Ausgehend von der letzten Sportstättenstatistik der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2000 und dem von Bund geförderten Projekt „Bäderleben“ ergibt sich von 2000 bis 2020 für NRW ein Rückgang der für die Schwimmausbildung und den Schwimmsport grundsätzlich geeigneten Bäder von 43 Prozent, konkret sind von einst etwa 1.400 Hallen-, Frei- und Kombibädern bis 2019 insgesamt 614 von der Landkarte verschwunden. Rabe: „Dies ist also schon vor der durch den Angriff Russlands auf die Ukraine ausgelösten Energiekrise erfolgt. Aktuell denkt deswegen etwa jede dritte Kommune darüber nach, aus finanziellen Erwägungen Bäder nur noch eingeschränkt zu betreiben oder ganz zu schließen.“

Da Bäder selbst sozialverträglich nicht gewinnbringend geführt werden können, darf ein Minus nicht das ausschlaggebende Argument für eine Schließung sein. Ein öffentliches Bad ist neben seiner Funktion als Ausbildungsstätte ein „Kulturgut“ und immer auch ein wichtiger Standortvorteil für eine Stadt oder Gemeinde. „Bäder sind nicht nur ein Kostenfaktor, sondern sie übernehmen soziale, kommunikative und gesundheitspräventive Aufgaben. Schwimmbäder sind soziale Ankerpunkte und unverzichtbare Stätten der Gemeinschaft. Ein Bad sollte mit derselben Selbstverständlichkeit zur Verfügung stehen wie andere Infrastruktureinrichtungen auch. Es ist höchste Zeit, dass wir den Wert dieser Einrichtungen anerkennen und sie durch nachhaltige Investitionen zukunftsfähig machen“, verdeutlicht die Präsidentin des SV NRW, Claudia Heckmann. Der Schwimmverband NRW fordert deshalb von der Politik sowohl auf Landes- als auch Bundesebene alles zu tun, um weitere Bäderschließungen zu vermeiden. Zielsetzung sollte immer der Erhalt und die Modernisierung sein. Dies sollte unterstützt werden durch einen Bäderplan für den Neubau/Ausbau von Bädern für die Schwimmausbildung und den Schul- und Vereinsbetrieb.

Appell an die Politik: Notwendigkeit eines nachhaltigen Investitionsplans

Dabei geht es nicht um Einzelprojekte, deren Nachhaltigkeit nicht gesichert ist. Es geht um die sinnvolle Weiterentwicklung der Infrastruktur über einen von Bund und Ländern getragenen Investitionsplan Bäder. Ergänzt werden sollte dies, mit einer bundesweit garantiert kostenfreien Bereitstellung von Wasserfläche für die Schwimmausbildung in Schulen und Vereinen. Schwimmbäder sind aber nicht die einzigen Sportstätten, die eines entsprechenden Förderprogrammes bedürfen. „Bäder sind eine Art Vorläufer und Indikator für die Qualität der Sportstätten ganz allgemein.“, so Frank Rabe. „Wollen wir nicht riskieren, dass unsere Kinder die Freude und den Spaß an sportlicher Bewegung verlieren, muss hier dringend etwas jenseits der alltäglichen Symbolpolitik getan werden. Sport hat eine integrative Kraft und ist als sozialer Kitt unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft. Und das nicht nur in Zeiten Olympischer Spiele.“


Bilder: Andrea Bowinkelmann und Mark Hermenau

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