Bei dem im August 2020 begonnenen und bundesweit ersten Breitensport-Forschungsprojekt „SicherImSport“, gefördert vom Landessportbund NRW und unter Beteiligung von zehn weiteren Landessportbünden, liegen den Verantwortlichen nach Abschluss der umfangreichen Datenerhebung von fast 4.400 befragten Vereinsmitgliedern konkrete Zwischenergebnisse vor: „Die Befunde unserer Online-Studie bestätigen, dass sexualisierte Grenzverletzungen, Belästigung und Gewalt auch im Vereinssport vorkommen. Deshalb sind der Ausbau von Maßnahmen zum Schutz vor Belästigung und Gewalt sowie Anlaufstellen und Unterstützungsangebote für Betroffene im Sport wichtig - dies hat ein großer Teil der Sportverbände erkannt und Maßnahmen zur Prävention eingeführt“, betonen Prof. Dr. Bettina Rulofs (Bergische Universität Wuppertal) sowie Dr. Marc Allroggen und Dr. Thea Rau (Universitätsklinikum Ulm) als wissenschaftliche Projektleitung. Nach den Aufsehen erregenden Ergebnissen der „Safe Sport“-Studie zum Leistungssport aus dem Jahr 2016 werten die Forscher*innen nun erstmals Daten ausschließlich zum Breitensport aus - die größte Untersuchung zu diesem sensiblen Thema in Deutschland soll bis zur Jahresmitte 2022 abgeschlossen sein. „Ein überfälliger Schritt, weil uns genauere Erkenntnisse in einem höheren Ausmaß auf dem längst eingeschlagenen Weg wieder enorm weiterbringen können“, verdeutlicht LSB-Vorstand Martin Wonik.
So gab die Mehrheit der Befragten zwar an, mit dem Vereinssport insgesamt „allgemein gute bis sehr gute Erfahrungen“ gemacht zu haben, doch etwa ein Viertel der Vereinsmitglieder (rund 26 Prozent) erfuhr mindestens einmal sexualisierte Grenzverletzungen oder Belästigungen (ohne Körperkontakt) im Kontext des Vereinssports, beispielsweise in Form von anzüglichen Bemerkungen oder unerwünschten Text-/Bildnachrichten mit sexuellen Inhalten. Bei rund 19 Prozent kam mindestens einmal sexualisierte Belästigung oder Gewalt mit Körperkontakt vor, zum Beispiel sexuelle Berührungen oder sexuelle Handlungen gegen den Willen. Auch weitere Formen der Verletzung oder Gewalt wurden in der Studie erhoben. So antworteten immerhin 64 Prozent der Personen, mindestens einmal emotionale Verletzungen oder Gewalt im Vereinssport erlebt zu haben, also beschimpft, bedroht oder ausgeschlossen worden zu sein – und mehr als jeder Dritte (37 Prozent) nannte mindestens einmal körperliche Verletzungen oder Gewalt, in Form von geschüttelt oder geschlagen werden. Auch erwähnenswert: Je höher das sportliche Leistungsniveau, desto größer offenbar das Risiko, von Belästigung oder Gewalt betroffen zu sein. So berichten gleich 84 Prozent der Befragten, die auf internationaler Ebene im Leistungssport aktiv waren, von mindestens einer Erfahrung von Belästigung oder Gewalt - dies trifft im Vergleich „nur“ auf 53 Prozent derjenigen zu, die im Freizeit- oder Breitensport aktiv waren.
Präventionsmaßnahmen bei Stadt-/Kreissportbünden und Fachverbänden weit verbreitet
In einer weiteren Teilstudie äußerten sich über 300 Sportorganisationen (92 Stadt-/Kreissportbünde sowie 215 Fachverbände in fünf Bundesländern) zum Stand der Prävention und Intervention innerhalb der eigenen Strukturen. Dabei gaben 63 Prozent (SSB/KSB) und 56 Prozent (Fachverbände) an, über fundierte Kenntnisse zur Vorbeugung von sexualisierter Gewalt zu verfügen. Allgemeine Präventionsmaßnahmen wie z.B. die Benennung von Ansprechpersonen, Durchführung von Schulungsmaßnahmen oder Einsicht von Führungszeugnissen sind demnach weit verbreitet. Risikoanalysen oder Konzepte zur Aufarbeitung von Vorfällen sind allerdings lediglich in nur einem Zehntel der Verbände vorhanden, die bei der Beratung zum Umgang mit Verdachtsfällen oder Vorfällen größten Unterstützungsbedarf haben.
Der Landessportbund NRW gilt seit Jahrzehnten als führend bei der Entwicklung und Umsetzung von präventiven Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt im Sport. LSB-Ansprechpartnerin ist Dorota Sahle (Telefon: 0203 7381-847 oder E-Mail: dorota.sahle@lsb.nrw), unterstützt durch die Expertise von Dr. Birgit Palzkill als „Unabhängige Beauftragte zum Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport“ im LSB NRW. Im Rahmen der Kampagne „Schweigen schützt die Falschen“ erhalten Verbände, Bünde und Vereine konkrete Hilfestellung, um das Thema zu enttabuisieren, präventiv tätig zu werden und in Krisen- und Verdachtsfällen handlungsfähig zu sein. Das LSB-Engagement basiert auf einem „10-Punkte-Aktionsprogramm“, das von seinem Präsidium und seiner Sportjugend beschlossen worden ist. Im landesweiten „Qualitätsbündnis zum Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport“ werden Vereine und Mitgliedsorganisationen dazu aufgerufen, Bündnispartner zu werden und wirksame Maßnahmen gegen Grenzüberschreitung und Gewalt im organisierten Sport zu ergreifen. Zu den weiteren Materialien gehören außerdem ein Elternratgeber/Elternkompass, ein Handlungsleitfaden (jeweils für Verbände und Vereine), ein Ehrenkodex sowie zahlreiche Beratungsangebote. Dr. Birgit Palzkill: „Wir müssen weiterhin mit vereinten Kräften daran arbeiten, dass sich noch mehr Vereine und Verbände auf den Weg machen, diese vorhandenen Angebote auch für sich zu nutzen.“
Zum Factsheet der Studie.
Bild: Andrea Bowinkelmann