Zum Hauptinhalt springen
2 Bilder - Yvonne Li jeweils beim Badmintonspielen

Badmintonspielerin Yvonne Li

Badmintonspielerin Yvonne Li: als Wirtschaftsingenieurin nach Paris 2024

„Rein auf den Sport zu setzen, ist zu unsicher!“

Text und Bilder: Claudia Pauli

Wer sich mit Yvonne Li unterhält, merkt schnell: Diese junge Frau ist nicht allein eine der besten Sportlerinnen Deutschlands, sondern auch abseits des Badmintonfeldes fokussiert auf das, was sie sich vorgenommen hat. Nach ihrer Rückkehr aus Tokio, wo sie in diesem Sommer zum ersten Mal in ihrer Karriere an den Olympischen Spielen teilnehmen durfte, gönnte sich die 23-Jährige nicht etwa einen längeren Urlaub, um sich von den physisch wie psychisch extrem anstrengenden Wochen, die hinter ihr lagen, zu erholen. Vielmehr gab sie bereits kurze Zeit später in beruflicher Hinsicht „Gas“: Im Rahmen ihres Studiums sind zwei jeweils vierwöchige Praktika vorgesehen – und eines davon absolvierte sie eben unmittelbar im Anschluss an das bisherige Highlight in ihrer Karriere als Badmintonspielerin.

Vereinbarkeit von Spitzensport und Berufsausbildung

Die Vereinbarung von Spitzensport und Berufsausbildung bedeutet für viele Athlet*innen in Deutschland eine große Herausforderung. So auch für die gebürtige Norderstedterin, die inzwischen seit mehreren Jahren in Mülheim an der Ruhr wohnt. „Generell ist dies mit viel Selbstdisziplin verbunden. Auch wenn man nach dem Training geschafft ist, muss man sich hinsetzen und etwas für die Uni machen. Manche der anderen Badmintonspieler*innen, die studieren, lernen zwischen zwei Trainingseinheiten, aber das fällt mir schwer. Generell ist eine gute Planung sehr wichtig – hier muss aber jeder seinen eigenen Weg finden. Das ist natürlich immer auch abhängig vom Studiengang“, sagt Yvonne Li.

Die Spezialistin für die Disziplin Dameneinzel ist dabei, an der Universität Duisburg-Essen den Bachelor im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen zu erlangen – und während andere Studierende während der Corona-Pandemie aufgrund der ungewohnten Rahmenbedingungen deutlich schlechter lernen konnten als vorher, kam es Yvonne Li sogar gelegen, dass die Hochschulen keine Präsenzveranstaltungen durchführten: „In dieser Zeit wurden alle Materialien digital bereitgestellt, was für mich viel besser war, denn an Präsenzveranstaltungen kann ich aufgrund des Trainings oder wegen Turnierreisen oftmals ja nicht teilnehmen. Gleiches gilt für Klausuren, die zuletzt immer online geschrieben wurden“, so die Perspektivkaderathletin des Deutschen Badminton-Verbandes (DBV).

Schon während der sportlichen Laufbahn die Weichen für die spätere berufliche Karriere zu stellen, ist (auch) im Badminton von großer Bedeutung: Die Verdienstmöglichkeiten sind – sofern man nicht zu den Superstars der internationalen Badmintonszene zählt – in der Regel nicht so hoch, als dass man damit finanziell für die Zeit nach Beendigung der Sportausübung aussorgen könnte. Außerdem gibt Yvonne Li zu bedenken: „Rein auf den Sport zu setzen, ist zu unsicher: Es kann z. B. sein, dass man aufgrund einer Verletzung seine Karriere vorzeitig beenden muss oder dass man es nicht schafft, die erforderliche Leistung zu bringen.“

Fehlendes Verständnis für den Leistungssport

Ein weiterer Grund dafür, parallel zu agieren, sei der, dass viele Arbeitgeber kein Verständnis dafür hätten, wenn Bewerber*innen aufgrund von Leistungssport ihre Berufsausbildung erst relativ spät begonnen bzw. diese über mehrere Jahre ausgesetzt haben. „Viele sind der Ansicht, Badminton sei nur ein Spiel. Natürlich ist Badminton ein Spiel, aber für uns Leistungssportler*innen ist es eben auch mehr als ein Spiel. Unabhängig davon ist es meines Erachtens schwierig, wieder ins Berufsleben reinzukommen, wenn man einige Jahre pausiert hat“, weiß Yvonne Li aus Erzählungen anderer (ehemaliger) Top-Athlet*innen. Und: Es sei gut, „auch mal in andere Richtungen zu denken“, nicht ausschließlich an den Sport.

Rund 25 Stunden Training pro Woche

Pro Woche kommt die dreimalige Deutsche Meisterin im Dameneinzel auf rund 22 Stunden Badmintontraining. „Plus/minus 25 Stunden stehen im Plan“, erläutert Yvonne Li, wobei neben dem Training auf dem Spielfeld u. a. auch tägliches Kraft- und Ausdauertraining erforderlich ist. An den Wochenenden trainieren die Nationalspieler*innen – sofern keine Punktspiele oder Turniere anstehen – zusätzlich eigenständig Kraft und/oder Ausdauer.

„Abends muss ich oftmals noch für die Uni lernen"

Bei dieser hohen Belastung muss der Körper auch in besonderer Weise „gepflegt“ werden: Physiotherapie, ausreichend Schlaf, eine gesunde Ernährung – all dies ist erforderlich, um die Regeneration bestmöglich zu unterstützen, Verletzungen vorzubeugen und für eine optimale Leistungsfähigkeit zu sorgen. Häufige und lange Partys mit Kommiliton*innen etwa wären daher eher weniger zielführend. Selbst Treffen im Freundeskreis erfolgen bei Yvonne Li selten: „Ich bin abends meistens relativ fertig vom Tag und da ich weiß, dass ich am nächsten Tag wieder fit sein muss, bin ich eher weniger unterwegs – auch wenn ich mich generell schon gerne mit Freunden treffe, z. B. zu Spieleabenden. Hinzu kommt, dass ich eben abends oftmals noch für die Uni lernen muss – was z. T. sehr schwierig ist, weil ich dann häufig schon sehr müde bin und ich dadurch vielfach nicht alles so hinbekomme, wie ich es mir wünsche. Das ist manchmal durchaus ein wenig frustrierend. Als ‚normale‘ Studentin hätte ich mehr Kontakt zu Kommiliton*innen und könnte mehr mit ihnen zusammen lernen, das wäre sicherlich einfacher“, meint Yvonne Li.

„Badminton ist ein Wegbegleiter für mich und nimmt einen großen Platz in meinem Leben ein“

„Leuchtende Augen“ bekommt Yvonne Li hingegen, sobald man sie fragt, aus welchen Gründen sie die Sportart Badminton so faszinierend findet, dass sie sie nunmehr seit mehr als 15 Jahren intensiv betreibt: „Ich bin mit Badminton aufgewachsen und kenne keine andere Sportart so gut wie Badminton. Badminton ist ein Wegbegleiter für mich und nimmt einen großen Platz in meinem Leben ein.“ Badminton habe viele Komponenten und sei dadurch nie langweilig, sagt Yvonne Li. Über ihren Vater und ihren Bruder, die beide im Verein spielten und sie irgendwann mit zum Training nahmen, fand sie als ca. Sechsjährige den Weg zu der olympischen Sportart – und übte sie mit zunehmendem Alter immer stärker als Leistungssport aus. Sie bezeichnet sich als „Allrounderin“: „Ich habe, glaube, ich keine offensichtliche Lücke und spiele auch taktisch ganz okay“, so Yvonne Li.

Platz 23 in der Weltrangliste

„Okay“ ist in dem Zusammenhang weitaus untertrieben – schließlich belegt die 23-Jährige, die im Alter von 16 Jahren von Hamburg nach Mülheim an der Ruhr umzog, wo sie bis zum Abitur im unmittelbar neben der Trainingshalle gelegenen YONEX Badminton-Internat wohnte, inzwischen Platz 23 in der Weltrangliste und ist damit die viertbeste Europäerin. Außerdem zählt sie zu den nur 43 Damen, die bei den olympischen Badmintonwettbewerben in Tokio aufschlagen durfte. „Mit meiner Leistung bei Olympia bin ich allerdings keineswegs zufrieden“, meint Yvonne Li, die nach zwei Niederlagen in der Gruppenphase den Einzug in die K.-o.-Runde verpasste. Aber: Bis zu den nächsten Olympischen Spielen ist es ja nicht mehr allzu lang, die Qualifikationsphase für Paris 2024 beginnt bereits in anderthalb Jahren. „Ich möchte mir dafür zumindest einen Setzplatz erkämpfen. Das größte Ziel aller Athlet*innen besteht natürlich darin, bei den Olympischen Spielen eine Medaille zu gewinnen“, blickt Yvonne Li voraus. Aufgrund ihrer guten Weltranglistenposition hat die dreimalige Deutsche Meisterin im Dameneinzel seit einiger Zeit auch bei den Top-Turnieren des Badminton- Weltverbandes BWF einen Startplatz sicher. „So kann ich mich langsam an das Niveau, auf dem bei diesen Turnieren gespielt wird, herantasten“, meint die 23-Jährige.

Neue Erfahrungen sammelt Yvonne Li aktuell auch im Ligaspielbetrieb: Zum ersten Mal schlägt sie nicht allein in der 1. Badminton-Bundesliga – beim SC Union Lüdinghausen aus dem Münsterland – auf, sondern auch im Ausland: Eine weitere Spielberechtigung hat sie für den dänischen Verein Team Skaelskoer-Slagelse. „Ich wollte mal etwas Neues kennenlernen. Und das Leistungsniveau ist in Dänemark deutlich besser als in Deutschland“, so Yvonne Li.

Einnahmen im Leistungssport

Nicht zuletzt bedeutet die doppelte Spielberechtigung auch höhere Einnahmen: Der Ligaspielbetrieb ist bei den Badmintonassen in Deutschland ein wichtiger Baustein in der Gesamtfinanzierung. Große Unterstützung leistet insbesondere auch die Stiftung Deutsche Sporthilfe, in Nordrhein-Westfalen zudem die Sportstiftung NRW. Weitere Förderer von Yvonne Li sind ihr Individual-Ausrüster, die Firma YONEX, der Deutsche Badminton-Verband, indem er z. B. die Teilnahme an verschiedenen Turnieren finanziert, und – ebenfalls abhängig von der Leistung – Preisgelder. Abgerundet wird das „Paket“ durch Stipendien über die Stiftung Deutsche Sporthilfe und die Sportstiftung NRW.

Bis zum Jahresende ist Yvonne Lis Terminkalender prall gefüllt. So hat z. B. der Badminton-Weltverband für das 2. Halbjahr – ausnahmsweise – gleich drei Weltmeisterschaften geplant. Was aber auch bedeutet: Diese Events sind drei weitere hervorragende Gelegenheiten, um sich mit der Crème de la Crème der internationalen Badmintonszene zu messen – und letztlich wieder ein Stück näher an die Weltspitze heran zu rücken. Paris 2024 kann kommen!